25-jähriges Bühnenjubiläum

DIETMAR DIESNER | ÜBERGRIFFE UND ANSCHLÄGE D

mit: Musikbrigade Dresden | Teo Vadersen | Hubback – Gaitzsch – Drees
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Freitag
03. Dez 2004
21:00 Uhr
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Übergriffe und Anschläge als Programm Fünfundzwanzig Jahre freischaffend auf der Bühne – der »saxophon-actor« Dietmar Diesner hinterlässt Spuren Nach seiner Ausbildung am Konservatorium Cottbus erhielt Diesner 1979 seine Lizenz als Berufsmusiker – das war vor 25 Jahren, seither arbeitete er freischaffend, zunächst überwiegend in Berlin und im Ausland, später auch in Dresden, wo er auch an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« 1985 sein Diplom machte. Schon in den 80er Jahren galt Dietmar Diesner als einzigartiger Künstler der ostdeutschen Jazzszene, der auch damals bereits in vielen internationalen Besetzungen der so genannten Improvisationsmusik zu Hause war. Dabei zeigte sich Diesner von Anfang an sehr agil, eingreifend, die Landschaft des DDR-Freejazz und der freien Improvisationsmusik mitgestaltend. Diesner war damals entscheidend an der Gründung einiger impulsgebender junger Freejazz-Bands beteiligt und sorgte somit dafür, dass sich diese freiheitliche Musik nicht nur auf Musiker der zehn und mehr Jahre älteren Generation (Baby Sommer, Conny Bauer, Uli Gumpert, Ernst-Ludwig Petrowsky) beschränkte. Aus der Band Blues AG ging im August 1979 die Dresdner Musikbrigade hervor, zunächst als Quartett mit Dietmar Diesner gegründet, kurz darauf mit dem Bassisten Rüdiger Phillip zum Quintett erweitert. Ab August 1980 spielte die Musikbrigade in der damals bekannten Trio-Besetzung mit Hansi Noack (Violine), Lothar Fiedler (Gitarre) und Gottfried Rößler (Drums). Die erste wirkliche »Diesner-Band« war die mit dem Pianisten Carlo Inderhees und dem Schlagzeuger Steffen Hübner gegründete Gruppe EVIDENCE. »EVIDENCE hat es, dank ihrer Originalität, gepackt. Emotional wie intellektuell an den schon klassisch zu nennenden Wurzeln des modernen Jazz sowie an den Freejazz-Großen der DDR und an den neuesten Tendenzen orientiert, schufen sie für sich ein klares, praktikables Konzept und wirkten durch die gezeigte Spielfreude als frischer, Eigenes kreierender musikalischer Katalysator«, schrieb Matthias Creutziger begeistert in der UNION vom 1. August 1980 über ein EVIDENCE-Konzert in Meißen. Und EVIDENCE machte sich dann auch bald international einen Namen – zum Beispiel bei den Debrecener Jazztagen 1982. Seit 1982 bezog Dietmar Diesner zunehmend außermusikalische Künste in seine Arbeit ein, angeregt durch seine Mitwirkung in der Gruppe FINE der Performance- und Ausdruckstänzerin Fine Kwiatkowski. Den Shows von FINE (neben Diesner und Kwiatkowski noch Christoph Winckel am Bass und der Gitarrist Lothar Fiedler) wohnte eine ungewöhnliche künstlerische Sprengkraft inne – durch die improvisierte Körpersprache der Tänzerin, die die jeweilige Raumdimension einbezog, gelang es dem Ensemble, eine spannungsgeladen psychische Situationen in Raum, Bewegung, Klang und choreografischem Bild abzubilden. Gelegentlich wirkten noch die Maler Helge Leiberg und Hans Scheuerecker sowie die Malerin Christine Schlegel – teils mit Filmprojektionen – mit. Abstrakte Filmbilder wurden auf die Tanzende und auf die Musizierenden projiziert, so dass der künstlerische Eindruck noch dichter wurde. Später, Ende der achtziger Jahre, mündete diese künstlerische Intermedialität Dietmar Diesners in dessen Mitwirkung an der Ton-Bild-Kumpanei, einem intermedialen Improvisationsprojekt von Dietmar Diesner, Matthias Boltz, Claus Weidensdorfer und Jürgen Haufe, das mit einer Performance im Juni 1989 startete und das – wegen Haufes Tod im September 1999 – im Dezember 2001 letztmalig über die Bühne ging. Über FINE kam es 1987 auch zu Kontakten zur kultigen Noise-Rock-Impro-Band KIXX, die anfangs noch mit Wigald Boning (voc, ss) auftrat. Diesner wurde reguläres Mitglied der Band, die in verschiedenen Besetzungen zwei LPs (bzw. CDs) veröffentlichte. Gemeinsam mit Lars Rudolph verlieh Diesner diesem Projekt einen kräftigen Touch dadaistisch-skurrilen Flairs. Es bestätigte sich auch hier wieder: Wo Diesner mittat, entstand etwas Besonderes, und für KIXX war der Schritt vom Blödeln zur anarchischen, punk-getränkten Dämonenmusik getan. Und außer mit diesen Anarcho-Projekten (zu denen durchaus auch Diesners Gastspiel 1989 bei Stan Red Fox gezählt werden darf) war Diesner immer wieder in den verschiedensten Ensembles der Improvisationsmusik zugange: in der Uli Gumpert Workshop Band, im Manfred Schulze Bläserquintet, im King Übü Orchestra und in zahllosen Duo- und Trioprojekten mit diversen Musikern. Dabei bewies der Saxophonist seine frappierende individuelle Fähigkeit, ganz nuanciert auf die jeweiligen musikalischen Konstellationen zu reagieren – man vergleiche nur seine Duo-Arbeiten mit diversen Schlagzeugern: im Duo mit Peter Hollinger entstanden wuchtige, von abstrakten Marschrhythmen getriebene Geradeaus-Strukturen, gemeinsam mit Sven Ake Johansson eher freiere, fragilere, strukturell offenere Dinge. Klar, dass an dieser Stelle die Band SLAWTERHAUS erwähnt werden muss, die in wohl idealer Weise sämtliche bis dahin bemerkenswerten Aspekte in Dietmar Diesners Arbeit vereinte: Post-Dada-Anarcho-Punk-Freejazz-Impro-Kompositionen mit einem gehörigen Schuss Grotesk-Performance! Die Band mit Jon Rose (cello), Johannes Bauer (tb), Peter Hollinger (ein Irrwisch auf seinem minimalen Drum-Set!) und Dietmar Diesner (sax, electronics) veröffentlichte zwei CDs, die diese ausufernde Musik dokumentieren. Beim Erwähnen des Begriffes »CD« bilden sich Falten auf Dietmar Diesners Gesicht: »Für CD-Sammler sind wir nicht existent«, stellt der Künstler fest. »Meine Musik und die Musik von uns Improvisationsmusikern überhaupt lebt im und vom Live-Spiel.« Wer als Fan Musik hauptsächlich anhand der veröffentlichten CDs verfolgen will, werde im Falle der Improvisationsmusik und speziell in seinem Falle in eine falsche Richtung verführt, so Diesner. Seine eigene Musik sei auf weniger als zehn CDs bzw. LPs dokumentiert, dazu kämen noch einige, auf denen er zum Ensemble gehöre – von einigen im Lande umhergeisternden Privatmitschnitten mal abgesehen. Demgegenüber aber habe er in den 25 Jahren seiner Arbeit als freischaffender Improvisationsmusiker, Komponist und saxophon-actor mehr als 2000 (!) Konzerte und Performances gegeben. Diesner hat also Spuren hinterlassen – auch ohne eine Riesenmenge an CDs. Übersehen werden sollte dabei keinesfalls Diesners immer wichtiger gewordene Solo-Arbeit, die mittlerweile sowohl künstlerisch als auch zahlenmäßig einen wesentlichen teil seiner Arbeit ausmacht, seine Vernissage-Performances und seine Beteiligung an Theaterprojekten, teils als Komponist von Theatermusiken, teils als aufführender Musiker, teils auch als Musiker in Projekten, die aus der Sphäre des Theaters entstammen. In guter Erinnerung ist diesbezüglich noch Diesners Beteiligung seit 1988 am »Mann im Fahrstuhl« von Heiner Müller (Musik: Heiner Goebbels), u.a. zum Festival New Music America '89 in New York, oder seine Musik (gemeinsam mit Hollinger) für »Trost der nördlichen Meere«. Gegenwärtig ist der Dresdner Künstler mit eigener Musik und einem Auftritt an der Inszenierung von »Germania. Stücke« (Heiner Müller, Regie: Dimiter Gotscheff) am Deutschen Theater beteiligt. Längst gehört Diesner auch auf europäischer Ebene zu den Protagonisten der sogenannten »real time composition & performances« (O-Ton Diesner), einer aus der Improvisationsmusik entwickelten Aufführungspraxis, die im wesentlichen die spontan-intuitiven und kompositorischen Aspekte des Individualstils mit denen der in Echtzeit verlaufenden räumlich-situativen Gegenwart verbindet. Der Musiker, so Diesner, verlässt die übliche funktionale Rolle des (nur) Interpretierens oder Improvisierens. Er gestaltet überdies den dramaturgisch-szenischen Verlauf in einer ihm konfrontierten Situation von Raum und Durchschreitung, Nachhall, Menschen und Reaktionen, Stille oder Störung. »Übergriffe und Anschläge« eingerechnet. Dem 25-jährigen Bühnenjubiläum Dietmar Diesners ist ein Mini-Festival gewidmet, das im Jazzclub Neue Tonne Dresden am 3. und 4. Dezember 2004 stattfindet. Mathias Bäumel

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