29. Dresdner Musikfestspiele »Glauben – Verständnis, Toleranz, Kritik«

GILAD ATZMON AND THE ORIENT HOUSE ENSEMBLE

Mixtur aus großem Bebop und nahöstlichem Tonfall
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Freitag
02. Jun 2006
21:00 Uhr
Während im Nahen Osten die Grenzen immer unüberwindbarer erscheinen, bringt der israelische Klarinettist und Saxophonist Gilad Atzmon zusammen, was sich angeblich nicht vereinen lässt: Er kombiniert die verschiedensten Musikstile dieser Welt und versammelt einen bunt zusammengewürfelten Haufen von Musikern aus aller Herren Länder. Dabei entsteht ein furioser Stilmix – jüdische wird mit orientalischer Folklore verbunden, Balkanklänge treffen auf Tangomelodien, die Musik des östlichen Mittelmeers vermischt sich mit Bebop-Virtuosität und groovenden Jazzbeats. Wenn Atzmon spielt, scheint die Zerrissenheit seiner Heimat in langen Tiraden aus dem Saxophon zu quellen. In den ruhigen Passagen leuchtet die Sehnsucht nach der verloren gegangenen Schönheit des Geburtslandes auf – der Blick eines Flüchtlings auf seine Heimat. Atzmon ist ein bescheidener und selbstkritischer Mann. Man könnte den Enkel osteuropäisch-jüdischer Auswanderer auch für einen russischen Landarbeiter halten. Das Thema Israel-Palästina brennt ihm auf den Fingernägeln. Angst davor, Beifall von der falschen Seite zu bekommen, hat er nicht: »Möglicherweise gibt es Leute, die mir Antisemitismus vorwerfen, weil ich Israel kritisiere. Viele der kritischsten und wichtigsten Stimmen gegen Israel kommen von Juden. Wir kritisieren Israel wegen der andauernden untragbaren Grausamkeiten, die von diesen Israelis begangen werden.« Eine Lösung des Nahost-Problems hält er nur dann für realistisch, wenn ein grundsätzlicher Wechsel in der Politik stattfindet: »Jeder Palästinenser muss die gleichen Rechte erhalten und vollständig mit den israelischen Juden gleichgestellt werden.« Atzmon ist nicht nur Musiker, sondern auch Publizist. Auf die Frage, wie man in Israel auf die Vorwegnahme des Untergangs Israels in seinem Buch »Anleitung zum Zweifeln« reagiert habe, antwortete Atzmon: »Nach zwei Wochen war es verboten … Es gab hervorragende Kritiken, und das Buch wurde vom zweitgrößten Verlag Israels veröffentlicht, aber man kann es dort nicht kaufen … Ich bekam Hassbriefe, mit denen ich ein dickes Buch füllen könnte. Sie wollen so was nicht hören, sie sind Gefangene ihrer eigenen Mentalität.« Der Musiker Gilad Atzmon, Exil-Israeli aus London, begeistert seine Zuhörer immer wieder mit seiner machtvollen, zuweilen ironischen Mixtur aus großem Bebop und nahöstlichem Tonfall. Die CD »Exile« (BBC Jazz Award 2003) galt beim Magazin »Concerto« als »eines der besten Alben, die je orientalische Musik mit der Formsprache des Jazz zusammenbrachten«. Der britische Kritiker John Fordham nennt Atzmon im »Guardian« einen »Meister der Dynamik und des langsamen Aufbaus, der Lyrismen mit heiseren, coltranesken Brüllern mixt, eine Kombination, für die allein er eine gewaltige internationale Reputation als Solist hätte. Aber seine selbst gewählte Mission, dem Jazz wieder die kulturelle/politische Schlagkraft zu geben, die er in der ersten Bop-Ära und im Freejazz der 60er-Jahre besaß, macht Atzmon noch um ein Beträchtliches größer.« Nach dem internationalen Erfolg von »Exile« widmet sich der streitbare Multi-Instrumentalist nun der Macht der Musik selbst (aktuelle CD »MusiK«). Das Wort »musiK«, deutsch ausgesprochen, signalisiert für ihn die Schönheit der Musik vor ihrer Zurichtung zur Ware. Atzmon führt hier eine charmante Attacke gegen den Musik-Kommerzialismus und gegen eine globalisierte »Kultur« unter amerikanischer Ägide. »Unser musikalisches Ziel«, sagt Gilad Atzmon, »ist es, die Musik des untergegangenen europäischen Ureinwohners wiederherzustellen.« Auf eine gleichermaßen ernsthafte wie unterhaltsame Weise liefert das Orient House Ensemble dabei ein »Neu-Arrangement« der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts: Es mischt Tango mit Cabaret und Balkanmusik, Saxophon mit Akkordeon, Klavier mit Rahmentrommeln. Time Out (London) jubelt: »Witzig, unheimlich, widerspenstig und schön! Dies ist ein großer Wurf!« Ein ideal passender Programmbeitrag für die diesjährigen Musikfestspiele, die unter dem Motto »Glauben – Verständnis, Toleranz,Kritik« stehen, allemal. Holger Schade / M. B. Newsletter abonnieren!

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