Den Münchner Pianisten Christian Gall kennt man in Dresden noch nicht, obwohl er in seiner Heimatstadt schon eine feste Größe ist.
Jetzt in Dresden präsentiert Christian Gall sein aktuelles Trioprogramm, das durch die vokale Ausdruckskraft des aktuellen Szene-Kult-Sängers Enik an Prägnanz, Schärfe und klanglicher Vielfalt noch gewinnt. Eingespielt in dieser erweiterten Besetzung erscheint am 22. Februar eben in der Reihe Young German Jazz des ACT-Labels die CD »Climbing Up«.
Galls Kompositionen bewegen sich zwischen den Grenzen des Jazz, populärer und klassischer Musik. Er bedient sich dabei der Vielfalt der Ausdrucksformen, die das Klaviertrio bietet: komplexe harmonische Gerüste der Romantik, einfache folkloreartige Melodien und moderne Grooves bilden bei den vielen Eigenkompositionen den Grundstock für die Interaktion zwischen den drei Instrumenten sowie für spannende und energetische Improvisationen.
Chris Gall lacht, als man ihn zu seinem Debüt-Album bei ACT in der Reihe Young German Jazz beglückwünscht. »Eigentlich bin ich kein reiner Jazz-Newcomer. Ich habe auch viele andere Vorlieben.«
Schwer zu sagen, was er damit meint. Vielleicht seine klassische Klavierausbildung in Deutschland, die er mit fünf Jahren begann. Oder sein Studium in Boston am Berklee College Of Music. Vielleicht aber einfach eine Musikkarriere, für die Jazz immer Ausgangspunkt war, aber nie der einzige Inhalt.
Dazu passt, dass Chris Galls Alma Mater Berklee immer schon mehr war als eine der weltbesten Jazz-Kaderschmieden – schließlich bezeichnet sie sich bis heute als Schule für »contemporary music«. Berklee’s Alumni und gleichzeitig Galls Vorbilder sind eben nicht nur Joe Zawinul oder Danilo Perez, sondern auch Rockerin Melissa Etheridge, Songwriter John Mayer oder der Filmkomponist Alan Silvestri.
Die Inspiration für Galls Musik stammt aus allen Ecken der Welt. Aus dem Melting Pot Boston. Aus Brasilien, wo er durch die Favelas von Sao Paolo tourte. Aus Indien, wo er mit dem Sitar-Star Shakir Khan den euro-indischen Jazz entstaubte. Aber auch von den lauten Rockbühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, vom Bar-Jazz und vom Revue-Theater.
An all diesen Orten hat sich der 32-jährige geholt, was seine Musik nach vorne treibt: Kraft. »Ich krieche manchmal irgendwie ins Klavier hinein«, sagt Gall. In manchen Stücken prescht er dann mit solcher Wucht voran, dass sich Rocker schämen werden, dass ihnen die Beine zucken, und Jazzer sich wundern, wie wild und tanzbar ihre Musik daher kommt.
Aber da ist noch mehr: Funk, Groove, Pop, große Gesten und kleine Arabesken. »Climbing Up«, auf dem Gall alle Stücke selbst komponiert hat, klingt dabei in keinem Moment beliebig oder überzogen. Jedes Element hat stets seinen Platz. Im melancholischen »Life Is Like Weather« zum Beispiel macht er den Titel zum Motto der letzten Takte: Da hüpft Chris Gall vom Regen in die Sonne, von elegischen Klängen zu Funk und Swing. Einfach so. – Wolken können sich eben auch spontan verziehen.
Und weil Chris Gall lieber über seine Musik nachdenkt als über Genre-Grenzen, hat er sich mit Enik einen Sänger geholt, der seinerseits Grenzen sprengt. Der junge charismatische Sänger hat 2006 bei EMI mit »The Seasons in Between« sein gefeiertes Debüt gegeben, eine Mischung aus Avantgarde-Pop und Elektronik-Rock, mit der er schon größere Hallen zu füllen vermag. Er gibt aber auch Georg-Kreisler-Lieder-Abende auf Münchens Kleinkunstbühnen. Für ältere Semester werden bei Enik unweigerlich Erinnerungen an den jungen David Bowie wach.
Auch Peter Gall (dr) und Marcel Krömker (b) haben ihren eigenen Klang, und fügen sich trotzdem problemlos in Galls Musikkonzept ein. »Mein Bruder Peter ist mir musikalisch der nächste, er hat schließlich die Entstehung meiner Musik hautnah mitbekommen«, sagt Chris Gall. Und Peter Gall hat mit 24 Jahren selbst schon Erfolg, etwa mit seiner Band Subtone. Das gilt auch für Marcel Krömker, der sich unter anderem im Pär Lammers Trio und als Bandleader seines eigenen Projekts Mr Eart einen Namen gemacht hat.
Die jungen deutschen Jazzmusiker haben Anschluss gefunden an ihre europäischen Kollegen, auf der Suche nach Wahrheit zwischen den Stilen, nach ureigener Musik, die man so noch nicht gehört hat.
(ACT)