Eichhörnchenaugen für große MusikImmer wieder eifrig am Arbeiten: das sächsische Jugend- Jazzorchester wird im März 15 Jahre alt
Diese Bilanz kann sich sehen lassen: Exakt 161 Konzerte gab das Jugend-Jazzorchester Sachsen bislang auf sächsischen Bühnen und während Reisen nach Schweden und Dänemark, Spanien und Großbritannien, Tschechien, Ungarn und Lettland. Über 200 Schüler und Schülerinnen sind bislang an ihm gewachsen. Viele von ihnen leben heute von Musik. Schlagzeuger Jan Roth etwa: im Jahr 2003 noch mit dem Jazzförderpreis der Stadt Leipzig ausgezeichnet, belebt heute die Weimarbigband und viele andere Projekte. Oder Michael Winkler, Vollblut-Posaunist, leitet die Bigband des Dresdner Heinrich-Schütz-Konservatoriums, um seinem Credo zu folgen, Bigband sei »für den Jazzbläser das Höchste«. Oder der rührige Saxofonist Reiko Brockelt. Er führt die Geschicke der Leipziger Uni-Bigband und jazzte schon mit Kultgeiger Nigel Kennedy. Michael Arnold könnte noch viele, viele Namen nennen. Von Anbeginn betreut er den Saxofonsatz im Jugend-Jazzorchester. Dessen langjährige Leiter Eberhard Weise hatte Arnold in seinen Pädagogenkader aufgenommen.
Als klassische Bigband tritt das junge Orchester auf: mit vier Trompeten, vier Posaunen, fünf Saxophonen und einer vierköpfigen Rhythmusgruppe. Seit Gründung 1993 wird es vom Sächsischen Musikrat betreut und vom Freistaat Sachsen gefördert. Warum schickte man solch ein Ensemble in ein Leben, das rauer geworden ist? Das goldene Zeitalter der Bigbands mit Legenden wie Benny Goodman, Duke Ellington und Count Basie lag schon damals ein halbes Jahrhundert zurück. Schossen vor allem im westlichen Nachkriegsdeutschland Radio-Bigbands aus dem Boden, so wollen sich heute gerade noch eine Handvoll Sender stehende Orchester dieser Art leisten.
Die Bigband-Ära ist ein Markstein der Jazzgeschichte. Sie lässt sich nicht zurückholen, aber ohne sie hätte der Jazz andere Wege genommen. Aus dieser Ära lässt sich schöpfen, um die Jazz-Gegenwart zu meistern und zu bereichern. Bigbandspiel liefert eine Grundlage für jeden Bläser, welche Richtung auch immer er einschlagen möge. Es schult das Gehör, sensibilisiert für Rhythmus und Timing. Das Repertoire hat sich in den letzten Jahrzehnten ohnehin enorm verbreitert: »Wir spielen Standards, aber auch Adaptionen der Beatles und Stevie Wonder«, deutet Arnold an. Ambitionierte Bandmitglieder arrangieren sogar selbst.
Aus ganz Sachsen kommen die hochbegabten Jazzer zusammen, um wenigstens einmal, besser zweimal pro Jahr für ein paar Tage gemeinsam zu proben und aufzutreten. Erst übt man in Registern, später komplett, von früh bis spät. Das stresst die Münder, schlaucht den ganzen Körper. »Irgendwann sehen alle aus wie kleine Eichhörnchen«, beobachtet Arnold. Doch die Schüler wissen, dass sie Sinnvolles tun, Praxis proben und große Musik machen. Mancher Leute Vorwurf, die Jugend sei faul, kann er nicht teilen. Das Orchester arbeitet sehr effektiv, wenngleich sich Arnold wünschte, die Probenphasen könnten besser übers Jahr verteilt werden.
Ein wenig sorgt er sich um den Nachwuchs. Saxofonisten und »Rhythmiker« seien kein Problem, Trompeter und Posaunisten indes zögerten, zur Band zu stoßen. Bisweilen bemerkt Arnold fehlendes Vertrauen seitens der Musikschulen, ihre Eleven ins Bigband-Rennen zu schicken. Dabei sind die positiven Effekte unübersehbar. Und was könnte stärker motivieren, als mit den Profis der Szene zu arbeiten? Mit Rolf von Nordenskjöld, Marko Lackner, Ansgar Striepens und Milan Svoboda, mit Al Porcino, Carla Bley, Steve Swallow, Ernst-Ludwig Petrowsky und Uschi Brüning? Die Lehrer wechseln zu lassen ist Prinzip. Viele Interpretationsstile, Arbeitsweisen und viel Literatur lassen sich so vermitteln.
Viel Farbe und Akzent möchte auch Lackner, Saxofonist und Professor der Dresdner Musikhochschule, in das Programm zur Jubiläumswoche Ende März 2008 bringen. Er freut sich auf die erneute Begegnung im ersten Quartal 2008. Im Vergleich zu anderen deutschen, studentisch geprägten Nachwuchs-Jazzorchestern zeichne sich das sächsische durch ein sehr junges Durchschnittsalter aus. »Die Lerneffekte sind bei Schülern enorm«, sagt Lackner. Zum Proben wird die Bildungs- und Begegnungsstätte Windmühle Seifhennersdorf dienen. Unter den daran anschließenden Konzerten verspricht das Bigbandtreffen am 30. März 2008 im Kleinen Haus Dresden in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Festival »Jazzwelten« ein Höhepunkt zu werden. Und im Spätsommer wartet eine neue Reise – vielleicht nach Finnland.
Karsten BlüthgenDie Kabinettausstellung im Jazzclub Neue Tonne Dresden präsentiert aus diesen erfolgreichen Jahren Erinnerungsstücke, Fotos und Devotionalien.
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