BOOM BOX

Eine Free Jazz-Band, die beständig swingt gibt's nicht? Doch! Boom Box!!!
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Freitag
04. Feb 2011
21:00 Uhr
Inzwischen legendär und seit 1992 aktiv ist Thomas Borgmanns Quartett »Ruf der Heimat« mit Ernst-Ludwig Petrowsky, Willi Kellers und Christoph Winckel, wobei lange Zeit auch mit Peter Brötzmann getourt wurde und immer wieder auch Charles Gayle, Roy Campbell und Heinz Sauer als Gäste dabei waren. Um Borgmanns Spiel zu beschreiben, fallen zuweilen Namen wie John Coltrane und Pharoah Sanders. Für BOOM BOX sind solche Referenzen sicherlich nur bedingt tauglich. Boom Box, das heißt: Saxofon trifft Drums trifft Bass – und das mit aller Wucht. In langen, häufig fließenden Stücken erschaffen Borgmann, Willi Kellers und Akira Ando eine Musik, die sich zwischen lyrisch friedlichen und ekstatischen Phasen, zwischen weiträumigem und dichtem Spiel hin und her bewegt. »Free Bop« nennen sie ihr beseeltes Zusammenspiel selbst. Felix Klopotek, angesehener Kritiker und Plattenproduzent, bezeichnet Boom Box kurz und knapp als »supercoole Free-Jazz-Combo«. Die TAZ spricht von »Intensitätsmusik«, um gleich erklärend hinzuzufügen: »Darf man auch Jazz dazu sagen, wenn einem kein anderes Wort dafür einfällt.« Und »boom box ~ jazz« heißt auch die neue CD, die im Februar beim renommierten Label Jazzwerkstatt erscheint. Die Liner Notes zum neuen Album lesen sich so: vom fliegen und vom singen (eric dolphy) man weiß, wer bird und wer little bird waren. und dass u.a. mit „ornithology“ der moderne jazz überhaupt anfing. es gibt im jazz das ideal eines rein auf das singen und das fliegen ausgerichteten körpers und die sehnsucht, formate, notensysteme, musikalische schubladen, all das, was einen am boden hält, hinter sich zu lassen. doch manch einer, der wie ein kleiner vogel flog, endete wie ein hund. in diesem jahr, in dem „jazz“ von boom box erscheint, sind ohne große feuilletonistische aufmerksamkeit u.a. fred anderson, bill dixon, abbey lincoln und noah howard gestorben. musiker, die sich in keinen kategorienkäfig haben einsperren lassen, sondern eine stimme hatten und geflogen sind. und jetzt kommen thomas borgmann, akira ando und willi kellers daher und nennen ihre neue einspielung einfach „jazz“. little birds may fly. how far can you fly? hey little bird – and to where? ein oktavsprung, ein motiv, das nicht von der stelle kommt, so beginnt „little birds may fly“. es bleibt einem für die ewigkeit im ohr. und man möchte es doch immer wieder hören, immer wieder mit erstaunen darüber, wie der swing von kellers und ando dazukommt, einsetzt. als ob zwei menschen durch verschiedene türen im gleichen moment in den gleichen raum treten. eine fast zaghafte sopransaxophon-erkundung folgt, doch richtig abheben kann der kleine vogel nicht, am ende erlahmen gar seine flügel. im nächsten stück ein neuer versuch, borgmann nimmt das tenorsaxophon, sein ton darauf ist über jeden zweifel erhaben. wie schön das zusammenspiel auseinander geht. akira ando verströmt eine (new yorker) lust an simultanen gegensätzen, herauszufordern anstatt die brüche zuzuschmieren. gibt es free jazz zum mitsingen? kann man das tanzen? in minute acht in diesem stück geht das. und schließlich, HEY LITTLE BIRD, fliegt diese musik los. ein drama ist das, eine ausgreifende bewegung durch landschaften. kellers fängt mit schlegeln an, macht mit den besen weiter, greift zu den sticks und macht sich auf. borgmanns motive steigen auf und fallen ab, immer wieder in kurzen, ergreifenden melodien landend, mit hohem gefühlsaufwand stehen gelassen. und das da, am anfang von AND TO WHERE – ist das „hello dolly“? wie schön diese band swingt. immer. und dieser swing ist durch drei teilbar. allein kellers beckenarbeit in diesem stück – welch leichte, komplexe bewegung. das ist nicht nur fliegen – das ist das spreizen von federn, kontrahieren von muskeln, drehen der richtung, auswählen der schneisen. und dazu wird gesungen. auf dem tenor und dem sopran im wechsel, im battle. der hymnische ton und der analytische ton. das stöhnen und das sagen. ein motiv finden, das in sich schön ist, von allein steht, ein angebot ist – um es dann anzuspannen, überzustreichen, zu zerreißen oder weiterzuentwickeln. die vorbilder sind bereits fortgeflogen. vom wichtigen vorläufer des trios mit wilber morris und denis charles ist nur noch borgmann da. geister können beschworen werden und ALBERT & FRANK fängt mit GHOSTS an, den geistern des kleinen vogels, der wie ein hund starb. auch albert ayler und frank wright haben gesungen, nicht „kaputtgespielt“. die konservativen sprechen von variationen, die freien von energie. aber diese musik, jazz, fliegt weit darüber hinaus. sie trotzt dem alltäglichen impulsfluss schönheiten ab. und eine haltung. („alles was schön ist, ist auch politisch“, sagt william parker, der es mehr mit blumen hat als mit vögeln. vor allem mit denen, die abgeschnitten werden, bevor sie blühen.) am ende ONLY FOR DÖRTE - ein liebesgedicht, ein dunkles tongeflecht, ein schattentanz, aus dem zwei zarte, zerbrechliche harmonika-akkorde aufsteigen, fast wieder abbrechen, am ende aber, mit allerhand störungen, doch stehen bleiben. darauf läuft das alles zu, das flattern und zwitschern: auf einen prekären moment von abwartender harmonie. boom box spielen jazz. und jazz handelt vom fliegen und vom singen. jan künemund, berlin (Edition Salzgeber) Newsletter abonnieren!