LISA BASSENGE, Berlinerin, seit Mitte der 90er-Jahre eine zum Glück unüberhörbare Kraft, ist bisher meistens als Jazzsängerin identifiziert worden – auch da hat man gleich eine Kulturtechnik vor Augen, eine bestimmte Art der Vermittlung: das samtfreundlich Introvertierte, latent Tiefe. Das Geheimnis, das einem nicht damit auf die Nerven geht, unbedingt jetzt gleich gelöst werden zu wollen. An manchen Tagen wohl tatsächlich die weinrote Diva an der Seite des Pianisten, aber in der Regel einfach die gepflegte, goldrichtig parfümierte Sorte von Souveränität.
Das neue Album von Lisa Bassenge ist 2013 erschienen, es heißt „Wolke 8“ und, jetzt müssen Sie ganz stark sein: Es ist ihre bisher unhöflichste Platte. Mit Abstand. Nicht nur, weil sie dieses Mal Sachen singt wie „Wär ich Polizistin, wärst du im Knast“ und „Schrei den Menschen auf der Straße deinen Namen in die Fresse“. Sondern weil sie hiermit ganz ernsthaft zum Angriff übergeht. Weil sie mit kurzem, optimal getimeten Anlauf denen ins Gesicht springt, die zwischen Sängern und Hörern – erst recht in den ständig so kunstverdächtigen Genres Jazz, Chanson, Nachtlied – immer noch eine dünne Folie vermuten, das Zellophan des ungestörten Genusses, das einen davor beschützt, dass irgendwer zu nahe kommt.
Mit anderen Worten: Auf „Wolke 8“ nimmt sich Lisa Bassenge ihr Publikum so richtig zur Brust. Hier spielt sie wie eine Weltmeisterin, nicht Klavier, dafür hat sie andere Leute, sondern einige der ganz großen Rollen der Popliteratur. Die Provokateurin, die Twisterella, die Bitterkluge und Biestige. Die Nachdenkliche auf den Dächern, bei der man nie weiß, ob sie gleich rauf zum Mond oder runter in die Bremslichter springen will [auch sie weiß das nicht immer]. Und die Geschichtenerzählerin, die unterm Apfelbaum sitzend beobachtet, wie komisch die Welt sich verfärbt, wenn die Liebe geht. Elf Gesichter, elf Songs, die einen auf elf verschiedene Arten finden. Einigen von ihnen muss man auch erst ein bisschen hinterherlaufen. Weil sie zu schnell sind.
Das Angebot an selbsterklärt authentischen, singenden, songschreibenden jungen Frauen ist in der deutschen Musikszene durchaus groß. Und ausreichend. Was für eine herausragende Neuerscheinung „Wolke 8“ trotzdem [oder gerade deshalb!] ist, hat natürlich auch damit zu tun, dass Lisa Bassenge schon vorher eine der mit Abstand besten und aufregendsten Stimmen war. Dass sich das Album, das ihr und ihren Jungs hier gelungen ist, so abwechslungsreich und abgrundtief anhört, so zupackend und feinmotorisch, literarisch und live, bedeutungsschwanger und neugeboren, wie es nur die allerbesten Popplatten tun – das ist die Nachricht. Das Geständnis. Die Parole. Das sagen die Songs, während sie einem an den Ohren ziehen.
„Wolke 8“ ist ein großer Schritt vom letzten Album, „Nur fort“, das im Januar 2011 erschien, bravouröse Kritiken bekam, von Fans und Noch-Nicht-Fans so geliebt wurde, dass es dafür den goldenen Jazz- Award gab.
Und „Wolke 8“ ist nicht nur Lisa Bassenges bisher unhöflichste Platte, es ist auch ihre beste.
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